Moskowitische und Persische Reise
DAS ANDERE BUCH: DAS ANDERE KAPITEL
Ein Teil von der höchst beschwerlichen und gefährlichen Schiffahrt
Als nun alle Sachen in gute Bereitschaft gebracht, reisten die Herren Gesandten mit ihrem bei sich habenden Volk den 22. Octobris des Jahres 1635 aus Hamburg in guter Ordnung ab und kamen den 24. dieses in Lübeck an, woselbst sie zwei Tage stillelagen, bis unser Zeug und Gerät nebenst zwölf Reitpferden zu Travemünde ins Schiff gebracht. Den 27. dieses folgten die Herren Gesandten, und bis zum Mittag war das meiste Volk zu Schiff gebracht. Unser Schiff war ganz neu und niemals unter Segel gewesen.
Als wir das Schiff vom Lande abstießen und aus dem Hafen bringen wollten, ergoß sich aus der See in die Trave ein sehr starker und ungewöhnlicher Strom, obwohl der Wind vom Land zur See stand, darob sich auch etliche Schiffer verwunderten, daß also unser Schiff an zwei andere damals im Hafen liegende große Schiffe nicht ohne Beschädigung derselben getrieben und sich in ihnen verfing, daß man über drei Stunden große Mühe und Arbeit hatte, ehe man’s frei machen und aus dem Hafen auf die Reede bringen konnte. Unser etliche hielten dies für ein böses Vorzeichen unserer angehenden Schiffahrt, wie es auch der betrübte Ausgang hernach leider genug bezeugt hat.
Den folgenden Tag, als den 28. Octobris, frühe um fünf Uhr, gingen wir nach abgehaltener Betstunde in Gottes Namen unter Segel mit Westsüdwestwind, welcher gegen Mittag ziemlich stark auffrischte und endlich in einen Sturm auslief und so die ganze Nacht durch währte. Da merkte man alsbald, daß die meisten unserer Schiffsleute in der Wissenschaft von der Seefahrt so alt und geübt waren wie das Schiff, welches zum ersten Male mit uns in die See lief, und es war ein großes Wunder, daß der Mast, welcher wegen der neuen Taue sehr gefährlich schwankte, nicht gleich den ersten Tag über Bord ging.
Den 29. dieses in der Nacht kamen wir der dänemarkischen Küste allzu nahe, welche der Steuermann zuerst für die Insel Bornholm angesehen und unsere Fahrt gleich auf den Strand von Schonen gerichtet hatte. Wir wären auch bald unter Schiffs- und Lebensgefahr darauf zu sitzen gekommen (sintemal wir schon vier Faden über Grund waren), wenn nicht der angehende Tag das Land uns entdeckt und wir unsern Kurs im Augenblick geändert hätten. Um neun Uhr hatten wir die Insel Bornholm auf der rechten Seite.
Weil es diesen Tag anfänglich etwas gelinde kühlte, gaben wir dem Winde alle Segel. Auf den Abend aber um zehn Uhr, als wir an keine Gefahr dachten, vermeinten wir das Ungemach der vorigen ungestümen Nacht durch sanfte Ruhe ersetzen zu können, gleich dem Gesandten Brüggemann, der wegen der flatternden Segel vermutete, daß an der Fahrt etwas unrichtig sei, und den Steuermann zu guter Aufmerksamkeit ermahnte. Als der uns mit dem Vorwand, daß wir die offene See vor uns hätten, nur noch sicherer machte, liefen wir mit vollen Segeln auf eine unsichtbare, jedoch platte Klippe und blieben sitzen. Das grausame Gerausche und Krachen des Schiffes erweckte unter uns eine solche Bestürzung und Angst, daß wir alle vermeinten, hier würde unsere Schiffahrt und mit derselben unser Leben ihr Ende finden. Wir wußten anfänglich nicht, in welcher Gegend wir uns befanden. Es war grade zur Zeit des Neumonds, da die finstere Nacht nicht zuließ, auch nur des Schiffes Länge zu sehen. Und obgleich wir durch eine ausgehängte Leuchte und etliche Musketenschüsse, sofern wir Land und Leuten nahe wären, um Hilfe riefen, wollte sich doch anfänglich nichts zur Antwort und uns zum Trost hören lassen. Das Schiff begann sich auf die Seite zu legen. Da erhob sich unter klein und groß ein groß Jammern, Winseln und Wehklagen. Viele unter uns fielen in großer Todesangst auf die Knie und Angesichter, schrien und riefen inbrünstig zu Gott um Hilfe und Errettung. Der Schiffer selbst weinte wie ein Kind, stand bestürzt und wußte keinen Rat mehr. Ich und mein Freund, Hartmann Gramann, hatten ausgemacht, wenn’s ja zum Schiffbruch kommen sollte, wollten wir als alte Vertraute einander in die Arme schließen und also sterben. Wir setzten uns deswegen zusammen und erwarteten unsern Untergang. Andere gute Freunde nahmen voneinander Abschied. Die meisten taten Gelübde zu Gott, gaben und verhießen jeglicher nach Vermögen, wenn sie errettet würden, ein Gewisses an die Armen zu geben, welches auch hernach gehalten ward, indem von solchen gelobten und verehrten Geldern zu Reval ein armes und frommes Kind seine Aussteuer zur Heirat bekam. Auch war auf dem Schiff sehr kläglich anzusehen, wie des Gesandten Crusii Söhnlein, Johann Philipp, ein Knabe von neun Jahren, auf den Knien lag und gen Himmel mit erhobenen Händen ohne Aufhören überlaut rief: Ach, du Sohn David, erbarme dich mein. Unser Feldprediger darauf: Herr, willst du uns nicht erhören, so erhöre doch dies unschuldige Kind! - Gott gab Gnade, daß das Schiff, obwohl es durch die hohen Wellen auf der Klippe arg hin und her rollte, bisweilen erhoben wurde und wieder niederfiel und also einen Stoß nach dem andern bekam, dennoch ganz blieb und wir darinnen erhalten wurden. Wenn dann bisweilen eine solche Bö oder gewaltiger Stoßwind kam und eine See oder Welle nach der andern auf uns einstürzte, erneuerte sich allemal das Jammergeschrei, weil wir glaubten, nun wäre es um uns geschehen.
Um ein Uhr sahen wir nicht fern von uns ein Feuer aufflammen, an welchem wir merkten, daß wir dem Lande nah sein mußten. Deswegen ließen die Gesandten das Schiffsboot lösen und aufs Wasser bringen, in der Absicht, dem Feuer nachzufahren und sich mit einem Diener zuerst aufs Land zu retten und zu sehen, ob sie Mittel fänden, uns auch nachzuholen. Die Schatullen oder Reisekästlein, in welchen die fürstlichen Beglaubigungsschreiben samt andern kostbaren Kleinodien, waren kaum hineingesetzt und zwei von unsern Dienstleuten, welche vor den andern das Leben zu erretten gedachten, hineingesprungen, da schlugen die Wellen das Boot voll Wasser, daß es zu sinken begann, hernach gar umschlug und sich losriß und die Dienstlente, welche schon pfützenaß, unter Lebensgefahr kaum wieder aufs Schiff klettern konnten. Wir mußten also zusammen die ganze Nacht in der Gefahr, in Furcht und Hoffnung aushalten.
Als gegen Morgen der Himmel begann hell zu werden, begann auch unser Schrecken und Furcht mit der finstern Nacht zu vergehen. Dann wurden wir gewahr, daß wir vor der Insel Öland saßen. Nahe bei uns lag ein Stück von einem dänemarkischen Schiff, welches vor vier Wochen auch allda untergegangen. Wir fanden auch auf der Insel einen Knaben, so aus dem Schiffbruch entronnen, welchen wir mit nach Kalmar nahmen.
Als bei Aufgang der Sonne der Wind etwas nachließ und die Wellen sich gelegt, kamen zwei öländische Fischer mit kleinen Booten an unser Schiff, welche auf Zusage großer begehrter Geschenke die Gesandten und hernach unser etliche ans Land setzten. Gegen Mittag fanden sich der Herren Schatullen, welche die See ausgespien, am Strande wieder. Hernach kamen auch etliche öländische Bauern uns zu Hilfe, um das Schiff von den Klippen wieder zu befreien. Der Schiffer befahl, zwei Anker ungefähr vierzig Faden hinter dem Schiff auszubringen. Als nun die Bauern, nebst den Bootsleuten ihrer zehn, den großen Anker auf dem Schiffsboot hinführen und auswerfen wollten, wurde er ihnen unversehens, vielleicht weil ihre Häupter vom Trunk, welchen wir ihnen zum Willkommen mit milder Hand gaben, zu schwer, so daß das Boot umschlug und sie alle erbärmlich in der See herumschwammen. Etliche ergriffen das kieloben treibende Boot, etliche die Ruder und hielten sich so lang daran fest, bis unser Steuermann mit einem ihrer Fischerboote, so am Schiffe lagen, ihnen zu Hilfe kam und sie auffischte, bis auf einen, nämlich den Schiffszimmermann, welcher, weil er nichts ergreifen konnte, vor unsern Augen untergehen und ersaufen mußte. Ein Bauer, groß und stark von Gestalt, der mit dem Anker nicht hinaus wollte und bei uns im Schiff blieb, fuhr, als er dieses Unglück sah, mit seinem Fischerboot nach, erretten zu helfen. Als er nach einem Bootsmann, welcher hilflos herumschwamm, griff, fiel er selbst ins Wasser; der Bootsmann aber kletterte ins Boot und führte den Bauern, so sich am Boot festhielt, zum Schiff.
Indem man nun zu Werke war, das Schiff frei zu machen, stieg das Wasser zusehends, und der Wind, welcher sonst Südwest gewesen, kam aus Nordwest und half, das Schiff zur Seite zu drücken. Sobald dasselbe wieder auf Tiefe kam, lief der Wind wieder Südwest, mit welchem man auch hernach durch den Kalmer Sund gehen konnte, und zwar auch nicht ohne Gefahr wegen des bei der Kalmer Schanze liegenden flachen Grundes.
Kalmar ist die wichtigste Stadt in Smaland, vierzig Meilen von Kopenhagen an der See gelegen.
Von Kalmar wurden Johann Voigt und Steen Jensen wieder zurück durch Dänemark nach Gottorp geschickt, um neue Beglaubigungsschreiben, weil die vorigen in der See verdorben, zu holen.
Darauf ward beratschlagt, welches ratsamer, ob man ferner zur See oder über Land durch Schweden gehen sollte, und endlich um vielerlei Ursachen willen beschlossen, daß man einen erfahrenen Steuermann dem unsrigen zuordnen und es ferner über See wagen sollte. Weil aber zu Kalmar kein Steuermann zu finden, nahmen wir zwei Piloten, die uns den Weg auf eine halbe Meile durch die flachen Gründe weisen mußten, und gingen den 3. Novembris im Namen Gottes wieder unter Segel, kamen an einer großen, runden Klippe vorbei, die Schwedische Jungfer genannt, welche wir mitten im Wasser zur linken Hand liegenließen. Ihre Entfernung wird vom Kalmer Sund mit acht Meilen geschätzt. Gegen Mittag waren wir auf der Höhe von Schloß Borgholm auf Öland. Gegen Abend erreichten wir das Ende der Insel Öland und umliefen dieselbe diese Nacht mit einem so grausamen Sturm aus Nordost, daß das Vorderteil des Schiffes mehr unter als über dem Wasser lag und die Wellen bis an die Segel schlugen. Bei solchem Sturme ward auch die Schiffspumpe unklar, und man mußte dieselbe mit großer Mühe herauswinden und wieder gangbar machen, unterdessen das Wasser ausschöpfen und mit Kesseln ausgießen, was, weil niemand aufrecht im Schiffe stehen konnte, eine elende Arbeit war. Dieser Sturm währte bis zum Mittag. Gegen den Abend bekamen wir die große Insel Gotland in Sicht.
DAS DRITTE KAPITEL
Vom ferneren Verlauf unserer gefährlichen Schiffahrt
Den 5. Novembris, als wir an Gotland vorbei, erhob sich abermals ein großer Sturm aus Westsüdwest, daß eine See nach der andern über das Schiff ging. Am Abend um zehn Uhr warfen wir das Lot und fanden zwölf Faden. Und weil wir befürchteten, dem Lande zu nahe zu kommen, trieben wir die Nacht wieder zur Rechten in die See. An diesen Tagen konnten wir wegen immerwährenden Sturmes nur das Schönfahrsegel* führen.
Den 7. dieses auf den Abend um zehn Uhr begann der Wind sehr zu wüten, und ehe wir’s uns versahen, zerbrachen mit schrecklichem Krachen der große Mast samt dem Besanmast und schlugen über Bord und auf und über unsers Doktors Schlafstelle. Ein Bootsmann, welcher zu seinem Unglück auf dem Schiffsdeck stand, ward durch ein Tau niedergeschlagen, daß ihm das Blut aus Nase und Ohren lief und er sich auch nach dem dritten Tag kaum besinnen und aufrichten konnte; er konnte nicht berichten, wie ihm geschehen war, und mußte auch auf dem Hochland sein Leben aufgeben. Bei dem Sturz ward auch zugleich das Spill, das große, schwere Stück (vielleicht durch ein gespanntes Tau), herausgerissen. Und was am meisten verwunderlich, daß der Besanmast im Sturz die Kajüte ganz aufgerissen hatte, während das Nachthäuschen, in welchem die Kompasse standen, obschon der Besan dran festgemacht, unversehrt blieb - und das zu unserm großen Glück. Denn wenn die Kompasse wären zerschlagen worden, hätten wir nicht gewußt, wohin wir uns hätten wenden müssen.
Dieses Unglück erregte abermals großen Schrecken, Furcht und Weheklagen unter uns. Das Schiff rollte von einer Seite zur andern, daß wir so recht taumelten und wankten, wie die Trunkenen einer über den andern fiel, denn niemand konnte ohne Halt stehen, sitzen noch liegen. Der abgebrochene und noch an etlichen Tauen hängende Mast stieß grausam gegen das Schiff. Der Schiffer verhielt sich sehr übel, wollte die Takelage gerne erhalten, obwohl dem Schiffe von den harten Stößen große Gefahr drohte. Sie mußten deswegen auf der Gesandten ernstes Antreiben doch gekappt werden. Die Bootsleute beklagten und beweinten jammervoll ihren auf den Tod liegenden Mitgesellen. Wir brachten also abermals diese Nacht in großer Angst zu.
Mit dem anbrechenden Tag, als den 8. Novembris, sahen wir uns sehnlich nach dem Hafen von Reval um, hofften, diesen Tag den ungestümen Wellen zu entkommen und den Fuß im lang ersehnten Hafen aufs Land zu setzen, welches uns unserer Rechnung nach nicht unmöglich vorkam, wie denn der Gesandte Brüggemann vorigen Tags bereits Anordnung gegeben, in welcher Art und Pracht wir in Reval einziehen wollten. Aber unsere Hoffnung und Anordnung ward zu Wasser, das Land floh gleichsam vor uns und ward wieder verloren; wir wußten abermals nicht, wo wir waren. Und obschon wir annahmen, rechtzeitig unsern Kurs auf den Hafen gerichtet zu haben, waren wir doch in der Nacht allzusehr nach der linken Hand vom Land abgetrieben, so daß wir morgens die Höhe nicht wieder erreichen konnten. Und als gegen neun Uhr die Sonne ein wenig hervorkam, den Nebel verzehrte und uns wieder eine freie Sicht vergönnte, wurden wir gewahr, daß wir den Revalschen Hafen schon verfehlt. Dann erhob sich bei hellem Sonnenschein aus Südwest ein so schrecklicher und unerhörter Sturm gleich einem Erdbeben, als wenn er Himmel, Erde und See über einen Haufen stürzen wollte. Es sauste und brauste furchtbar in der Luft. Die wie hohe Berge aufgetürmten und schäumenden Wellen wüteten grausam ineinander. Das Schiff wurde von der See ständig gleichsam verschlungen und wieder ausgespien. Der Schiffer, ein alter Mann, wie auch etliche unseres Volks, welchen zuvor auf ost- und westindischen Schiffahrten manch saurer Wind unter die Augen gekommen, beteuerten, daß sie noch niemals solchen Sturm und Gefahr erlebt hätten.
Hier war guter Rat teuer. Wir gaben uns abermals verloren und fanden kein anderes Mittel, entweder dem Rat des Steuermanns zu folgen, beizulegen und gegenüber in die finnischen Schären oder Klippen zu laufen. Dabei mußten wir versuchen, die unsichtbaren Klippen (welche bei solchem Wetter „brennen“, wie sie es nennen, oder durch Rauschen ein Zeichen von sich geben) zu vermeiden und uns in den Hafen von Elsenfoss* in Finnland zu bergen. Oder Gott durch einen gnädigen Schiffbruch noch etliche auf die Felsen werfen zu lassen und am Leben zu erhalten; denn das zerbrochene Schiff konnte sich in der See nicht länger halten. Daher steckten etliche der Unsrigen was ihnen lieb war und sie getrauten mit fortzubringen, zu sich.
Der Gesandte Brüggemann öffnete seine Schatullen oder Reisekästlein, gab Erlaubnis, daß, wenn’s zum Schiffbruche kommen würde, jeglicher an Geld und Kleinodien etwas zu sich steckte, damit er, wo er aufs Land käme, desto besser fortkommen könnte.
Unser etliche fielen den Gesandten um den Hals mit der sehnlichen Bitte, daß sie, wo sie im Schiffbruch Hilfe tun konnten, uns nicht verlassen sollten, was sie auch versprachen. Wir segelten also zwischen Furcht und Hoffnung, Tod und Leben dahin. Und weil es ja allem Ansehen nach um unser Leben sollte getan sein, ergab sich zwar ein jeglicher darein und schickte sich zu sterben. Aber dennoch brach die natürliche Liebe zum Leben bei den meisten aus in ein Winseln und Wehklagen. Da hieß es: Aus der Tiefe ruf ich, Herr. Etliche saßen wie erstarrt, konnten vor Todesangst weder singen noch beten; seufzen war das beste. Einer tröstete den andern aus Erbarmen mit guter Hoffnung, an die er selbst nicht glaubte. Als unser Priester, welcher vor andern Mut faßte, im Gesang auf die Worte kam: Heut sind wir frisch, gesund und stark, morgen tot und liegen im Sarg, antwortete ein anderer: Ach! Diese Glückseligkeit kommt uns nicht zu, morgen schwimmen vielleicht unsere Körper um die Klippen. Und gleichwie wir erstlich unser Schiff und Güter gerne in die Schanze schlugen und nur ums bloße Leben baten, also vergaßen wir auch endlich unser Leben und baten nur um die Seligkeit. Wir hielten uns auch schon für tot und sahen aus wie die blassen Leichen. Als der Gesandte Crusius solche Bestürzung unter dem Volke sah, rief er: Laßt uns mit Gebeten fortfahren. Ich weiß, Gott wird uns helfen, mein Herz sagt mir’s. Unterdessen wuchs das Ungestüm mehr und mehr und trieb uns auch aus der Gegend dieses Hafens, denn das Schiff, weil es der wichtigsten Segel beraubt und sich nur der Fock bedienen konnte, wollte dem Steuermann nicht mehr gehorchen, sondern trieb vor dem Wind her in die Finnische See.
Da wußten wir abermals nicht, wo wir hin sollten. Dem Hauptbootsmann Jürgen Steffens fiel endlich ein, daß eine Insel, Hochland genannt, mitten in der See vor uns läge, vor der er schon gewesen und guten Ankergrund gefunden hätte, sie läge aber siebzehn Meilen vor Reval. Man müßte versuchen, ob man dieselbe erreichen und sich dahinter bergen könnte, welches er zu vollbringen vermeinte, wann man sie nur bei Tage zu Gesicht bekommen könnte. Jedoch war es in so kurzer Zeit, weil der Tag bereits halb verflossen, nicht wohl zu hoffen, fürnehmlich weil die Fock alleine das Schiff fortziehen mußte und es so den Wellen nicht entfliehen konnte. Deswegen schlug auch einmal, was ganz schrecklich war, eine ungeheure See von hinten über die Kajüte ins Schiff und deckte dasselbe ganz zu. Wir fielen von der Erschütterung übereinander, vermeinten, itzt würden wir untergehen. Wir mußten das Wasser, so häufig durch die zerbrochene Kajüte eindrang, in Eile wieder auspumpen und schöpfen, wurden also von immerwährendem Schrecken gepeinigt. Ungefähr um drei Uhr nachmittags stieg der eine Bootsmann in die Fockwanten, sich nach Land umzusehen. Und als er die Insel erblickte und rief: Gottlob, ich sehe Hochland, waren wir so hocherfreut, daß wir die Hände frohlockend emporhohen, vor Freude weinten und einander tröstlich wieder zuredeten: Nun hat Gott unser Schreien und Seufzen erhört, er will uns doch nicht verlassen, und fingen getrost an, das Te deum laudamus* zu singen. Glaubten, wir wären schon aus der Gefahr, obschon wir doch noch auf einem zerbrochenen Schiff mitten in den ungestümen Wellen schwebten, und wußten nicht, was für ein Unglück unser bei Hochland noch erwartete.
Mit Sonnenuntergang begann sich der Sturm zwar zu legen, aber das erzürnte Meer warf die Wellen noch immer sehr hoch. Wir stellten vier Personen vorn aufs Schiff, die Fahrt zur Insel, welche eine vor Hochland liegende Klippe gefährlich machte, wahrzunehmen und den Schiffer am Ruder zu warnen. Zu unserm Glück fing es an zu schneien - es war den ganzen Tag klares Wetter und Sonnenschein gewesen -, daher konnte man die Berge im schwarzen Wasser desto besser sehen. Kamen also den Abend um sieben Uhr unter Land und legten uns in einer kleinen Bucht, so gegen Ostnordost gelegen, bei neunzehn Faden Wasser vor Anker.
Diesen Abend nahmen wir wieder etwas Speise zu uns, denn wir hatten etliche Tage weder gegessen noch getrunken; beschlossen auch, hinfort auf der Reise täglich zweimal Betstunde abzuhalten und sonst zu bestimmten Zeiten mit Buß-, Bet- und Fasttagen Gott dem Herrn für die gnädige Hilfe und Errettung zu danken.
Den 9. dieses blieben wir bei gutem Wetter vor Anker liegen, flickten unser Schiff, so gut wir konnten. Am Abend beratschlagten wir mit dem Schiffer, wohin wir unsern Kurs ferner nehmen wollten. Die Gesandten hielten es für gut, vollends nach Narwa zu fahren; der Schiffer aber war dagegen und wollte lieber zurück nach Reval. Andere aber, in Betrachtung dessen, daß es mit einem zerbrochenen Schiff höchst gefährlich sein würde, in solchem Wetter und an solchen Orten weiterzusegeln, wollten lieber auf dieser Insel ausgesetzt und durch andere Gelegenheit, die man sich durch die livländischen Fischer, die damals vor Hochland lagen, von Reval aus hoffte verschaffen zu können, vollends ans feste Land gebracht werden. Es wurde aber nichts beschlossen, sondern man wollte bis zum nächsten Tag abwarten. Jeder legte sich also zur Ruhe nieder. Ungefähr um neun Uhr kam der Schiffer vor der Gesandten Lager, berichtete, daß der Wind nach Osten gedreht habe, also aufs Land zu; wir könnten deswegen nicht ohne Gefahr am selben Ort liegenbleiben. Er hielte es für das beste, daß man sich auf und wieder zurück nach Reval machte. Die Gesandten gaben ihm zur Antwort, er sollte es so machen, wie er’s gedächte vor Gott und der Welt zu verantworten. Als nun der Anker gelichtet, verwandelte sich der Wind in einen Sturm und trieb das Schiff immer stärker aufs Land zu, so daß keine Arbeit und Mühe, wie emsig sie auch betrieben wurde, um das Schiff abzuwenden, etwas verfangen wollte. Da erhob sich abermals ein großes Geschrei, und es wurde gerufen, daß, wer sein Leben erretten wollte, aufstehen und sich oben aufs Schiff begeben sollte, wir wären in großer Not. Es ließ sich alles zu einem gefährlichen Schiffbruch an. Wie uns da abermals zumute war, ist leicht zu erraten.
Man ließ zwar den Anker wieder fallen, aber das Schiff war schon allzu nahe an den Strand, ungefähr bis auf dreißig Faden, getrieben. Das Schiffsboot wurde in Eile aus- und die Gesandten zuerst an Land gesetzt, hernach etliche von uns. Mittlerweile erreichte das Schiff die großen Steine, von denen der ganze Strand bedeckt war, und stieß auf dieselben mit großem Ungestüm und Krachen, daß die übrigen im Schiff vermeinten, es würde gleich in kleine Stücke zerscheitern und sie alle müßten ersaufen. Und obwohl sie sehnlich begehrten, gleich den andern mit dem Boot an Land gesetzt zu werden, verweigerte es ihnen das Schiffsvolk, damit nicht die auf dem Schiff Zurückbleibenden Not leiden müßten, sollte das Boot etwa am Strand durch die Wellen auf den Steinen zerschlagen werden. Und um dieser Ursache willen fuhren sie mit dem Boot nur bis dicht an den Strand, und etliche von uns mußten bis an die Hüften ins Wasser steigen, daß wir zwischen den Steinen vollends herauswateten. Als ich im Wasser stand und des Gesandten Brüggemanns Schatulle, so von kostbaren Sachen ziemlich schwer war, zugleich mit hinausgeworfen wurde und die Wellen dieselbe wieder seewärts ziehen wollten, ergriff ich sie, wenn auch wegen einer frisch ausgestandenen großen Krankheit mit schwachen Händen. Unser Medicus aber erhaschte mich wiederum beim Rock, und so wurde einer vom andern aus den Wellen, welche oft über uns hinschlugen, ans Land gezogen. Als das Schiffsvolk sah, daß das Schiff nicht länger zu erhalten war, lösten sie das Ankertau in der Hoffnung, das Schiff würde näher ans Land gesetzt, also von den Wellen nicht mehr erhoben und auf den Grund gestoßen werden. Es half aber nichts, weil der Sturm zu heftig, sondern nachdem es eine ganze Stunde auf den Steinen gearbeitet hatte, zerbrach es und sank zu Grunde. Das restliche Volk wurde gleichwohl zuvor noch ausgesetzt.
Am selben Ort der Insel waren fünf Fischerhütten, in welchen livländische Bauern, die sich wegen ihrer Fischerei und des stets währenden Unwetters allda verspätet hatten. Bei diesen kehrten wir ein.
Wenn wir an einem andern Ort dieser Insel gestrandet wären, da wir diese Fischerhütten nicht sobald hätten erreichen oder finden können, hätten wir es diese Nacht, weil es sehr kalt, in unsern nassen Kleidern kaum aushalten können. Es fiel auch so viel Schnee, daß wir weder Weg noch Steg erkennen konnten. Wir kamen von ungefähr zu einer alten Kapelle, in welcher den vorigen Tag unser etliche gewesen und nach Vermögen etwas in den Gotteskasten gegeben hatten. Diese Kapelle, obzwar sie etwas weit von den Fischerhütten abgelegen, gab doch gute Nachricht vom rechten Weg zu denselben, weil wir ihn bereits einmal gegangen waren.
Den Morgen des andern Tages, als den 10. Novembris, gingen wir an den Strand, zu sehen, ob man an das Schiff herankommen und die Güter retten könnte. Die See aber wütete noch sehr heftig, daß keiner mit dem Boot sich hinwagen durfte.
Nachmittags, als der Wind und die Wellen sich etwas gelegt, bemühte man sich, die Pferde und andere Güter aus dem Wasser zu retten. Es wurden auch viele Güter samt sieben Pferden, und zwar die, so sich losreißen und die Köpfe über das Wasser hatten halten können, geborgen, von denen doch nur fünf leben blieben; die andern aber waren ertrunken.
Bei diesem Schiffbruch ging auch ein großes und kostbares Uhrwerk, so für ein besonderes Kunststück gehalten und auf etliche tausend Reichstaler geschätzt worden war, verloren. Die Pferde hatten’s samt dem Kasten in der Angst zerschlagen und zertreten. An den folgenden Tagen, weil gutes Wetter und Sonnenschein, trockneten wir unsere Kleider, Bücher und Geräte, welche vom Salzwasser teils häßlich zugerichtet, teils ganz verdorben waren.
DAS VIERTE KAPITEL
Wie wir vollends nach Livland hinüberkamen und in Reval einzogen
Allem Anschein nach sollten wir auf dieser Insel eine Zeitlang bleiben und wußten nicht, wann Gott Mittel schicken und uns erlösen würde. Auch befürchteten wir, daß wir bei angehendem Winter daselbst erfrieren und gar verhungern müßten (denn wie uns berichtet worden war, mußten vor wenigen Jahren etliche Leute und Bauern, so auch dahin verschlagen wurden und Schiffbruch erlitten hatten, um sich des Hungers zu erwehren, die Borke und Rinde von den Tannenbäumen essen). Wir mußten deswegen unsern Proviant, von dem ein geringer Vorrat, besonders Brot, so gerettet worden war, sparsam gebrauchen. Der aufgeweichte Zwieback, welcher sich nicht wollte wieder trocknen lassen, wurde mit Kümmel gekocht und mit Löffeln anstatt des Brotes gegessen; es kam etlichen der Unsrigen gar sauer vor. Einmal bekamen wir eine große Menge kleine Fische, Elritzen, die wir in einem aus dem Berge laufenden Bächlein mit Hemden und Bettüchern fingen. Mit denselben konnten wir zweimal unser Begleitvolk speisen.
Den 17. dieses ließen sich die Gesandten, jeder mit fünf Personen, in zwei kleinen Fischerbooten auch vollends ans feste Land, so von Hochland zwölf Meilen entfernt, übersetzen. Dies war auch eine elende und gefährliche Fahrt. Die Boote waren alt und oben nur mit Bast zusammengebunden und geflickt, besonders das, in welchem der Gesandte Crusius saß, so daß das Wasser an vielen Stellen eindrang und einer immer zuzustopfen und auszuschöpfen hatte. Die Segel waren aus alten Lumpen zusammengeflickt; die Leute konnten nichts als nur vorm Winde segeln; daher wollten sie auch wieder zurück nach Hochland kehren, als der Wind begann ein wenig umzulaufen, nachdem wir erst vor gutem gemächlichem Winde fünf Meilen gefahren. Weil wir aber eine kleine Insel nicht über eine halbe Meile weit vor uns sahen, hielten wir sie an, daß sie die Segel einnahmen und die Ruder gebrauchen mußten, und kamen auch auf den Abend daselbst wohl an. Auf der Insel fanden wir nichts als zwei leere Hütten, halb in die Erde gebaut; in denselben machten wir Feuer und blieben die Nacht über drinnen. Hier begann es an Brot zu mangeln, wir mußten deswegen an dessen Statt Parmesankäse, von dem wir noch ein großes Stück hatten, essen. Am Morgen fuhren wir mit guten und gelinden Winden, aber sehr hohlem Wasser wieder fort.
Als wir an die zwei Stunden gefahren, kam ohne alles Vermuten, da der Wind sonst aus Norden wehte, in einem Augenblick ein starker Wirbelwind von Osten, stieß auf des Gesandten Brüggemanns Boot, daß dasselbe sich ganz auf die Seite legte und Wasser zu schöpfen begann. Dann schlug eine starke Welle am Boot in die Höhe, daß das Wasser fast eine halbe Elle über der Bordwand stand. Die Bauern fingen an zu schreien, fielen auf die andere Seite des Bootes, rissen das Segel geschwind herunter und wandten das Boot in den Wind. Darauf ward es alsbald wieder still, so daß wir mit dem vorigen Wind wieder segeln konnten. Solcher Wirbel kam in zwei Stunden dreimal. Die Bauern aber, weil sie denselben hernach von fern kommen sahen, wandten das Boot darnach und ließen ihn darüber hinstreichen; das erstemal erschraken wir von Herzen. Und ich halte gänzlich dafür, daß dies die größte Gefahr gewesen, so wir zur See gehabt. Denn weil wir mitten in der See und unser Boot ziemlich schwer, weil es neben acht Personen mit der Gesandten Silbertafel und andern Gütern beladen und wenig Bord hatte, hätte es ein geringes gebraucht, um unterzugehen. Hierbei war es höchst verwunderlich, daß des Gesandten Crusius Boot, welches nur einen Pistolenschuß hinter uns lief, nicht das geringste von solchem Ungemach empfunden und gewußt hat.
Als wir ungefähr noch drei Meilen vom Land, befiel uns auch ein starker Hagel; aber andere der Unsrigen, welche den Gesandten folgten, hatten schönes Wetter und lieblichen Sonnenschein.
Als wir fast auf eine halbe Meile dem festen Land nahe, wollte der Wind umlaufen und uns zurücktreiben, aber wir hielten die Fischer an, eifrig zu rudern, und versprachen ihnen eine Flasche von drei Kannen Branntwein, so wir bei uns hatten, wenn wir auf den Abend ans Land kämen. Die Fischer griffen die Ruder frisch an und setzten alle ihre Leibeskräfte daran. Wir erreichten auch gegen den Abend, nämlich am 18. Novembris, glücklich das Ufer und stiegen in Estland am Mallischen Strand aus, nachdem wir zweiundzwanzig Tage auf der Ostsee gewesen waren.
Sobald wir das Ufer erreicht und noch nicht ausgestiegen, griffen die Bauern sogleich nach der Branntweinflasche, welche wir ihnen zwar willig, jedoch allzu zeitig verabfolgten. Denn ehe noch die Güter ausgeladen und aufs Land gesetzt waren, liefen sie damit ins Dorf, riefen die Ihrigen und Nachbarn zusammen und soffen die Flasche in sehr geschwinder Eile ganz aus, daß, ehe man sich’s versah, sie alle mit Weib und Kind toll und voll herumliefen, sich zu zanken und zu schlagen begannen, daß man sie ferner wenig gebrauchen konnte, ausgenommen einen, welchen der Trunk beherzt und treuherzig gemacht. Als der sah, daß eins unserer Boote sich losgerissen und vom Lande zur See abtrieb, sprang er nackend in die See bis an den Hals, ungeachtet, daß es sehr kalt war, schwamm ans Boot und brachte es wieder zurück.
Den 22. dieses waren zwei Schuten, so von Reval nach Finnland gewollt, durch einen Sturm auch nach Hochland verschlagen worden; auf dieselben hatte sich das nachgebliebene Begleitvolk mit den Pferden und Gütern verdingt und kam den 24. dieses auch glücklich herüber nach Livland.
Und weil uns scheinen wollte, daß sich etliche durch den Schiffbruch verdorbene köstliche Sachen in einer Stadt besser ergänzen ließen, erhoben wir uns nach der Stadt Reval und langten auch den 2. Decembris allda glücklich an.
* großes Segel am Hauptmast
* Elsenfoss - das heutige Helsinki
* Te deum laudamus - (lat.) Dich, Gott, loben wir
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Country in which the text is setRussia
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Featured locationsTravemündeHochland / Hogland, GoglandReval / Tallinn
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Year of first publication1656
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Place of first publicationSchleswig