Neue Erkenntnisse über Labyrinthe
Danach habe ich mich unter anderem zwischen 1975 und 1982 umfangreich mit maritimer Inventarisation beschäftigt. Anlass war ein zugrunde liegender Auftrag, die örtliche Bevölkerung zu befragen, um Reste maritimer Kultur unter Wasser oder in der Strandzone zu suchen, Schiffswracks und damit zusammenhängende Überreste, wie Einzelfunde, Kulturschichten, z.B. in Häfen etc. Aber sehr bald begann ich die Suche zu einer Gesamtheit auszuweiten, die ich die maritime Kulturlandschaft genannt habe, ein Netzwerk miteinander verbundener Phänomene. Von Anfang an betraf das die Küste Norrlands, also die Bottensee und die Bottenwiek. Dort befinden sich die meisten Labyrinthe Schwedens (und Nordeuropas). Nach und nach habe ich parallel zu meiner laufenden Arbeit einen Großteil der 150 Steinlabyrinthe an der Küste Norrlands besucht.
Eine große Hilfe war mir dabei John Kraft, Schwedens bedeutendster Labyrinthkenner. Wir trafen uns, als wir beide Wirtschaftskarten im ATA studierten, dem Antiquarisch-Topografischen Archiv in Stockholm, irgendwann Mitte der 1970er Jahre. Er ist heute mein zuverlässiger Antagonist in bestimmten Labyrinthkontexten, jedoch nicht in allen. Sein gesammeltes Material aber liegt dank seiner Großzügigkeit auch meiner Forschung zu diesem Thema zugrunde. Auf die Gefahr hin, ungerecht zu erscheinen, habe ich hier nicht seine große Abhandlung zu diesem Thema angeführt, sondern darf für Referenzen auf mein eigenes Buch aus dem Jahr 2016 (Livets och dödens labyrint. En tolkning av kustlabyrinternas upprinnelse och funktioner) verweisen. Was Kraft besonders fasziniert hat, waren die Labyrinthe im Binnenland ohne Bezug zur Küste und deren eventuelle Verbindung mit prähistorischen Gräbern und Grabfeldern und damit potentiellen Versammlungs- und Kultstätten aus derselben Zeit. Es mag sich um 15 – 20 Plätze in Schweden handeln. Das nahezu klassische Labyrint och ryttarlek von 1977 oder The Goddess in the Labyrinth von 1985 plus einige wenige andere haben die Auffassung über die ältesten Trojaburgen im Norden bei fast allen späteren Verfassern geprägt. Es ist nahezu unmöglich, eine andere Meinung zu vertreten und damit Gehör zu finden. Viele haben sich auf die umfassende (und furchtbar interessante!) Abhandlung von Ernst Krause aus dem Jahr 1893, Die Trojaburgen Nordeuropas, bezogen...
In Krafts Fall haben außerdem kultische oder theophore Ortsnamen im Zusammenhang mit den Labyrinthen zu einer ausgearbeiteten Theorie über die Einteilung prähistorischer Gesellschaften in Schweden in heidnische Kultverbände geführt (Kraft, Hednagudar och hövdingadömen i det gamla Skandinavien, 1999). Was das betrifft, bin ich äußerst skeptisch, gehe hier aber nicht weiter darauf ein. Meine Skepsis gilt überhaupt Forschern, die bei geografischen Plätzen und gewissen Glaubensfragen an eine natürliche Kontinuität über die Zeit hinweg glauben, manchmal vom Bronzezeitalter, üblicherweise von der späten Eisenzeit, das heißt späten „heidnischen Zeit“, bis hin zu mehr oder minder jungen Ereignissen. Ich befürworte dagegen Diskontinuität, nicht zuletzt bei dem sehr deutlich sichtbaren Wechsel vom Heidentum zum Katholizismus. Außerdem bin ich der Auffassung, dass mehrere Wechsel in der Bedeutung stattgefunden haben, direkt nach der eigentlichen Anlage des Labyrinths und später. Was die Küstenlabyrinthe betrifft, hat Kraft allerdings grundlegende Untersuchungen über den Zusammenhang mit der Fischerei angestellt, die meine eigene Auffassung dazu immer noch prägen. In dem Fall sind wir uns einig über die Datierungen. Seine Schlussfolgerung, die Labyrinthe seien als ein magisches Universalmittel für Küstenfischer entstanden und genutzt worden, glaube ich aber nur zur Hälfte (Kraft, Labyrinter i magins tjänst, 1982). Sicherlich sind sie in späterer Zeit so verwendet worden, aber in den meisten Fällen sind sie meiner Ansicht nach nicht aus diesem Grund entstanden. Auch hier glaube ich also überall deutliche Spuren von Diskontinuität zu sehen.
Zwei Forscher von der Universität Umeå, Rabbe Sjöberg und Noel Broadbent, haben nach und nach eine gut durchdachte Auswahl Küstenlabyrinthe (43) in Norrland mit Hilfe von Flechtenkartierung oder Lichenometrie auf frühestens um 1300 datiert (Broadbent, Datering av labyrinter genom lavtillväxt, 1987, Broadbent & Sjöberg, Hur gamla är labyrinterna efter Västerbottenskusten?, 1990, Sjöberg, Lichenometric Datings of Boulder Labyrinths along the Upper Norrland Coast, 1996; Karten und Datierungskurven, Abb. 1). Bei der Flechtenart handelt es sich um die Landkartenflechte, Rhizocarpon geographicum. Die beschriebene Methode ist nur anwendbar in nordischer Umgebung mit karger Natur, wie wir sie in der steinigen Schärenlandschaft vorfinden. Anfangs wendete sie der Naturgeograf Wibjörn Karlén von der Universität Stockholm bei Endmoränen von Gletschern oberhalb der Baumgrenze im Fjäll an, wo die Flechtenart Rhizocarpon alpicola vorkam. Der Zuwachs betrug früher im Normalfall 4 mm in hundert Jahren, später 6 mm in der gleichen Zeitspanne, mit Zuschlag für eine Etablierungsphase, die dann eintrifft, wenn ehemals permanentes Eis von der Moräne abgeschmolzen oder der Strand oberhalb der Hochwasserlinie dauerhaft durch die Landhebung trockengelegt worden ist. Das bedeutet, dass wir ein allgemeines Korrelat zur Landhebung haben und außerdem eine Mindestdatierung für die Labyrinthe, die auf einer bestimmten Höhenlinie liegen. Das Ergebnis wurde durch Bewitterungsstudien auf exponierten Flächen abgesichert (Sjöberg, Vittringsstudier med Schmidts Test-hammare, 1987).
Ich kann diese kritisch durchgeführten Analysen, an denen ich teils auch beteiligt war, selbst bezeugen und habe keinen Grund, die Ergebnisse anzuzweifeln. Einigen vereinzelten Datierungen um 1300 herum folgt eine Anhäufung in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Es gab aber eine ganze Menge, die später datiert wurden, zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert. Und die Küstenlabyrinthe sind erwiesenermaßen bis in unsere Zeit hinein angelegt worden. Andere aus Steinen gelegte Figuren, wie die sogenannten Kompassrosen, die manchmal in der Nachbarschaft von Labyrinthen zu finden sind, datieren ebenfalls aus der Neuzeit, sowohl in Väster- als auch in Österbotten (West, Sjöberg & Nieminen, Stenkompassernas ålder i Österbottens kustlandskap. I: Arkeologi i norr 11: 181 – 194, 2009). Ein einziges Binnenlabyrinth in Norrland, bei der Lachsfischerei in Edefors am Luleälven in Norrbotten, hat Thomas Wallerström mittels archäologischer Untersuchung auf eine mögliche Zeitspanne zwischen 1300 und 1600 datiert. Er hat assoziierte Vergleiche mehrerer Suchgebiete angestellt, das Ergebnis ist aber noch nicht endgültig publiziert worden (Wallerström, Norrbotten, Sverige och medeltiden. Problem kring makt och bosättning i en europeisk periferi, 1995, Teil 2, Anlage 4, S. 97 ff.).
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass zumindest ein Labyrinth auf den Überresten einer Siedlung aus der Wikingerzeit angelegt wurde, bei Bjuröklubb in Västerbotten (Broadbent, Lapps and Labyrinths, 2010: 88f). Noel Broadbent deutet dies so, dass die Überreste einer ursprünglich sámischen Robbenjägersiedlung (aus der Wikingerzeit oder dem 12. Jahrhundert) im Mittelalter (um 1500 herum) durch Siedler aus dem Süden entdeckt wurden. Die Zeitspanne schließt eine andere Erwägung apotropäischer Natur nicht aus. Der Labyrinthbau der späteren Siedler kann nämlich dahingehend gedeutet werden, dass sie sich vor den Spuren der Urbevölkerung schützen wollten. Die „Lappen“ waren, wie übrigens auch die Finnen, nachweislich dafür bekannt, schon im frühen Mittelalter Zauberei ausgeübt zu haben. Und man wird gewusst haben, dass die sámische Bevölkerung auch an den Küsten lebte, so wie man sich dessen später bewusst war. Der kulturelle Hintergrund geht aus dem Titel von Broadbents Buch zu diesem Thema hervor, Lapps and Labyrinths. Außerdem können somit die mittelalterlichen Labyrinthe in Övre Norrland als eine Bestätigung dafür gesehen werden, dass sie ein zeitgenössisches und ursprüngliches Gegenstück zu jenen Labyrinthen sind, die von anderen schwedischen Siedlern an Finnlands und vermutlich auch Estlands Küsten angelegt wurden.
Weiterhin habe ich beobachtet, dass die ersten vereinzelten Labyrinthbauten breit gestreut sind und vielleicht im Großen und Ganzen gleichzeitig an den Küsten entlang entstanden sein müssen. Dieser allgemeine Eindruck sollte mit Mats Rehnbergs klassischer ethnologischer Methodenstudie Ljusen på gravarna (1965) verglichen werden können, die allerdings auf jüngeren historischen Quellen basiert. Ausgehend vom ersten Labyrinth, das auf einer Insel oder an einer Bucht auf dem Festland gebaut wurde, hat man die übrigen an derselben Stelle oder im selben Gebiet angelegt. Es gibt Ansammlungen von bis zu 9 oder 10 Labyrinthen. Auf der Insel Snöan in Västerbotten findet sich eine Reihe von Anlagen, die auf das 15. bis 19. Jahrhundert datiert wurden. Es gibt mehrere andere Inseln, bei denen man von einem ungefähr gleichen Verlauf ausgeht, sowohl in Schweden als auch in Finnland.
Irgendwann um 1990 herum war ich der Auffassung, dass mehrere der am frühesten datierten Labyrinthe am Anfang gefährlicher Abschnitte der Küste Norrlands lagen. Solche Stellen fielen durch besonders viele Schiffbrüche und Wracks auf. Ich war der Meinung, dass die Platzierung der Labyrinthe auch mit den Übergängen von tiefen und relativ sicheren zu flacheren Fahrwassern mit mehreren Schären und Steinen an der Wasseroberfläche übereinstimmte. Eine Analyse von John Kraft zeigte, wie schon erwähnt, dass die Küstenlabyrinthe in einem deutlichen Zusammenhang mit den Saisonfischerdörfern standen. Deshalb wollte ich die Labyrinthe als eine Art Anzeiger für frühes Lotsentum sehen. Es war plausibel, dass sich die ersten (informellen) Lotsen unter den lokalen Fischern befunden haben mussten. Inzwischen habe ich meine Theorie über das Lotsentum verworfen. Die Beobachtung zu den gefährlichen Küstenabschnitten halte ich aber immer noch für wertvoll.
Wenn wir nun von Labyrinthen sprechen, ist eine spezielle Figur gemeint, die klassische. Sie hat die Form eines einfachen gleicharmigen Kreuzes als Ausgangspunkt. In jedem Winkel setzt man einen Punkt. Ausgehend von diesen vier Punkten zieht man anschließend nach einem einfachen System Linien rund um das Kreuz (Abb. 2). In meinen späteren Texten habe ich wohl die Bedeutung dieser ersten Kreuzfigur nicht genügend betont. Aber es gibt andere, die da klarer gesehen haben! Neben allen weiteren möglichen liturgischen und anderen Implikationen ist das Kreuz das Symbol, das in christlicher Zeit und Umgebung am häufigsten in volkstümlichen Zusammenhängen – wie den Labyrinthen – vorkommt, um das Böse abzuwehren. Es dient nämlich als Vitterkreuz an Häusern oder segnet Wege und Gräber. Auch Labyrinthe haben manchmal dieselbe Funktion. Ich habe früher mehrere Beispiele aus Schweden, Finnland und Estland angeführt. Sie können außer in anderen abwehrenden Zusammenhängen auch an den Innenseiten der Deckel von Truhen vorkommen (Abb. 3). Das Kreuz ist folglich immer das erste, was beim Aufbau eines Labyrinths gelegt wird. Es kann also niemals ein Zufall sein, wenn Labyrinthe von ihren Erbauern als apotropäisch, abwehrend, wahrgenommen wurden.
In der Volkstradition fungiert das Kreuz in ungemein vielen Fällen als Schutz vor dem Bösen, welcher Natur dieses Böse auch sein mochte. Als Mittel gegen übernatürliche Wesen ist es bekanntermaßen unschlagbar, neben Gegenständen aus Eisen. Das Kreuz als abwehrendes Mittel muss nicht einmal absichtlich erstellt worden sein, es reicht, dass sich kreuzende Linien entstehen. In einer Sage aus Kinnekulla in Västergötland, „Ryttaren och Brattefortsfruas silverbägare“, hat während des Dreißigjährigen Krieges ein Reiter dem Troll einen Becher gestohlen und wird von jenem danach rasend vor Wut verfolgt. Da hört er eine Stimme aus dem Himmel, die ihn auffordert, über den Acker zu reiten statt „über die grüne Wiese“. Der Grund war, dass der Pflug sich kreuzende Linien in den Acker gezogen hatte. Dies geht deutlicher aus anderen Versionen dieser Wandersage hervor (aus Klintberg, The Types of the Swedish Folk Legend, 2010: K 91). Als der Troll trotzdem sehr nahe kommt, wirft sich der Reiter mitsamt seinem Pferd hinter die schützenden Mauern der alten Kirche von Kinne-Kleva. Bis zur Mauer kann ihm der Troll folgen, weiter kommt er aber nicht.
Meiner neuen Überzeugung zufolge gibt es zwei Hauptmotive im volkstümlichen Symbolgebrauch, was die Anwendung von Kreuz und Labyrinth betrifft. Aber die erste ist immer die apotropäische. Die zweite ist die prophylaktische, vorbeugende. Meiner weitergehenden Auffassung nach ist die letztere in diesem Fall eine sekundäre Entwicklung, sowohl beim Bau bzw. bei der Abbildung als auch bei der Deutung, die der ursprünglichen folgen kann. Ich sehe sozusagen mehrere „Paradigmenwechsel“, Veränderungen der volkstümlichen Weltanschauung. Irgendeine Form von Kontinuität ist äußerst unwahrscheinlich über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren hinweg, nicht zuletzt, wenn im Prinzip jede neue Generation neue Erzählungen über den Anlass zum Bau und/ oder zur Anwendung von Labyrinthen einführen kann. Es sind nicht schiffbrüchige Seemänner oder arbeitslose Fischer, die die Labyrinthe gebaut haben, wenn sie nichts Anderes zu tun hatten. Und die mündliche Überlieferung ist auch im Großen und Ganzen wertlos, weil der magische Moment immer abgeschwächt wird, wenn ein Gläubiger Außenstehenden und Nichtgläubigen erzählt, was vor sich geht und warum. Die Magie muss geheim gehalten werden. Deshalb wissen wir eigentlich nichts darüber, was man dachte und tat...
Der Typ Labyrinth, auf den ich mich beziehe, ist ein aus Steinen gelegtes Feldlabyrinth. Ein altes Wort dafür aus dem Volksgebrauch ist auch Trojaburg (mit Varianten) und es gibt mehrere andere Namen, die in verschiedenen Sagentypen vorkommen, gerne mit Ursprung in anderen klassischen Städten (Rom, Jerusalem, Babylon) oder eine Festung andeutend. Der finnlandschwedische Begriff dafür ist jungfrudans (Jungfrauentanz). Die Torf- und Heckenlabyrinthe im Binnenland von Deutschland und England haben einen gänzlich anderen Hintergrund sowohl kulturell als auch sozial und symbolisch.
Im Norden gibt es aus Steinen gelegte Labyrinthe entlang der meisten Küsten (Abb. 4). Besonders häufig sind sie an der nördlichen Ostsee, in Schweden (ungefähr 300, Abb. 5) und Finnland (ungefähr 150, Abb. 6). In Norwegen dagegen findet man sie nur ganz im Süden und ganz im Norden, insgesamt vielleicht 30 Stück. Im Norden scheinen sie an die russischen Labyrinthe auf der anderen Seite der Grenze und an der Westküste des Weißen Meeres anknüpfen zu können (heute schätzungsweise 25). Estland hat vielleicht 6 und Island 4 (davon ist heute nur noch eins erhalten). Viele Theorien sind vorgelegt worden, um diese vorgeschichtlichen Stätten und ihre geografische Verteilung zu erklären. Hier wird also ein Versuch unternommen, ihren Hintergrund neu zu deuten. Auch wenn man immer bedenken muss, dass die kulturellen Milieus, in denen sie auftreten, sehr verschieden sind, stimmen die direkten Umfelder vollständig überein. Diese Küstenlabyrinthe – die vielleicht mindestens 85% der Gesamtheit ausmachen – stehen also alle in einem deutlichen Zusammenhang mit maritimen Milieus und maritimer Kultur, nicht nur geografisch.
Das klassische Labyrinth ist ein sehr spezielles Symbol, das in Europa kaum einen anderen Hintergrund haben kann als die Labyrinthe der Antike. Die ersten stammen von etwa 1200 v. Chr. Sie haben einen Bezug zu Kreta und vermutlich auch zum spätminoischen Palast von Knossos. Gemäß beharrlicher Überlieferung ist dieser Palast das Ursprungslabyrinth, im Griechischen labyrinthos, das hier als „Haus (oder Platz) der Doppelaxt“ gedeutet wird. Mit diesem Palast ist die berühmte Sage oder der Mythos von Theseus von Athen und der im Palast lebenden Ariadne verknüpft. Theseus dringt in das Innerste des Labyrinths vor und tötet dort das Ungetüm Minotauros. Als er sich aus dem Labyrinth befreien will, schafft er dies mithilfe eines Fadens, den er von Ariadne bekommen hatte, also dem klassischen Ariadnefaden. Gemäß der griechischen Mythologie soll der Palast vom ersten Architekten Daidalos (Lateinisch: Daedalus) erbaut worden sein. Die spätminoische Zeit auf Kreta verlief teilweise parallel zu unserem Bronzezeitalter, das die Zeit zwischen ca. 1500 und 500 v. Chr. beschreibt. Wir haben aber weder Bilder von Labyrinthen aus der Bronze- noch aus der Eisenzeit (500 v. Chr. – 1000 n. Chr.), was hier als ein Hauptargument hervorgehoben wird. Es gibt wohl Spiralen und ähnliche Kreisfiguren aber nicht die spezifische Labyrinthfigur, wie wir sie oben beschrieben haben. Das Labyrinth war relativ gebräuchlich für Mosaikböden in römischen Häusern. Weil es sich ausschließlich innerhalb des Hauses oder des Grundstückes befunden zu haben scheint, kann man annehmen, dass es apotropäisch ist; es soll das Böse abwehren. Eventuell den bösen Blick, der in der Mittelmeerregion so vorherrschend ist. Die Figur kommt ebenfalls z. B. als Graffiti vor. Also sollte sie, könnte man meinen, auch in der skandinavischen (römischen) Eisenzeit bekannt gewesen sein. Dies ist nicht der Fall. Aber sie ist auch nicht aus Stein gelegt worden wie in Skandinavien.
Man fragt sich daher, wie dieser eventuell prähistorische Zusammenhang mit einer Datierung der skandinavischen Trojaburgen oder Jungfrauentänze auf das Mittelalter oder später in Einklang zu bringen ist. Es wäre ja merkwürdig, um nicht zu sagen unglaublich, wenn man dieses äußerst spezielle Symbol zweimal importiert hätte. Entweder stammt es aus prähistorischer Zeit – am ehesten aus der Eisenzeit – oder aber es ist frühestens im Mittelalter entstanden. Ich habe mich frühzeitig dazu entschlossen, die gelegten Steinlabyrinthe mit Labyrinthbildern zu vergleichen. Aber es gibt keine solchen Abbildungen, in keinem einzigen nordeuropäischen Zusammenhang in prähistorischer Zeit. Das hat mich verwirrt und sollte auch andere verwirrt haben. Es sind wohl Symbole und andere Aspekte aus der klassischen Welt importiert worden, diese aber gerade nicht. Wären sie da, müssten sie unter den unerhört reichen Figuren der Felszeichnungen aus der Bronzezeit zu finden sein, die ja noch bis in die Eisenzeit hinein entstanden sind. Diese Periode sollte die Zeit zwischen ca. 1800 v. Chr. bis Christi Geburt abdecken. Wären sie aus der Eisenzeit, sollten wir sie am ehesten der römischen Eisenzeit zuordnen, eventuell mit Beginn ca. 200 n. Chr. bis ca. 400 n. Chr. Danach beginnt das europäische Mittelalter. Im Norden beginnt das Mittelalter 600 Jahre später, ca. 1050 n. Chr.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass wir in Skandinavien recht viele (ca. 25) Bilder von Labyrinthen, gemalte und geritzte, in mittelalterlichen Kirchen haben (Abb. 7). In einigen Fällen (6 - 7) gibt es – oder besser gab es – tatsächlich auch Steinlabyrinthe auf schwedischen Friedhöfen! Eines ist dennoch erhalten geblieben, auf dem Friedhof von Fröjel auf Gotland (Abb. 8). Betrachtet man die Bilder von Labyrinthen im Inneren der Kirchen scheinen sie beinahe alle aus dem späten Mittelalter (15. Jahrhundert) zu stammen, speziell um die Jahrhundertwende um 1500 herum. Nichts spricht dagegen, dass die Steinlabyrinthe auf den Friedhöfen erst im Mittelalter entstanden sind, aber man kann sie nicht wie jene an den nördlichen Küsten mittels Lichenometrie datieren.
Die Labyrinthfigur muss im Norden durch die katholische Kirche eingeführt worden sein. Das geschieht aber erst im Hochmittelalter, frühestens im 13. Jahrhundert. Vermutlich wird sie erst im Spätmittelalter, im 15. Jahrhundert, allgemein bekannt. Auf dem Kontinent kennen wir vor allem die großen Bodenmosaike in Kathedralen, wie das in Chartres nahe Paris aus dem 12. Jahrhundert. Aber es hat sie auch an vielen anderen Stellen gegeben. Diese Labyrinthe sind zwar rund, weichen aber durch stärker geometrische Formen im Inneren ab. Aus Texten geht deutlich hervor, dass sich die Baumeister oder Architekten der Kirchen mittels dieser Figur mit Daedalus, dem berühmtesten Architekten der Antike, verglichen haben. Das Erbe der Antike ist also nicht nur offenbar, sondern wird auch ausgesprochen. Folglich hat die Labyrinthfigur in den Böden der Kathedralen anfangs nichts mit einem Symbol, das beschützen soll, zu tun. Auch im Norden kannte man das Erbe. Im gelehrten Island nannte man die Steinlabyrinthe Volundarhús nach Volund, Daedalus’ Gegenstück in der nordischen Mythologie. Aber es gibt auf dem Kontinent keine aus Steinen gelegten Labyrinthe. Sie erweisen sich als eine einzigartige nordische Erscheinung. Folglich muss ihre Funktion ebenfalls ein für Nordeuropa einzigartiges Phänomen sein.
Es waren die Jungfrauentänze auf Malax Storskär in Österbotten, die mich dazu brachten, meine neue Theorie über eine gemeinsame Bedeutung der Labyrinthe zu lancieren (vgl. Lena Talvitie, Storskär – en jungfru i havet, 2008). Die Jungfrauentänze (mindestens 3, wahrscheinlich 4) rahmen dort einen Friedhof ein (Abb. 9 - 10). Es gibt ferner ein Labyrinth im Anschluss an einen großen Steinhügel, der als Grabplatz gesehen werden muss (Karte Abb. 11). Einige wenige weitere solcher Plätze konnten schnell gefunden werden, sowohl in Schweden als auch in Finnland. Dies war kein Jungfrauentanz, der für jugendliche Spiele gedacht war! Für mich war klar, dass das Bauwerk errichtet wurde, um mögliche Wiedergänger derer, die nicht in geweihter Erde begraben worden waren, abzuwehren.
Während dieses Vergleichs begann ich über das vielleicht berühmteste aller Labyrinthe nachzudenken, das am Fuße des Galgenberges nördlich von Visby liegt, ebenfalls auf Gotland. Nach seinem Vorbild sind viele Labyrinthe im Binnenland angelegt worden, nicht nur auf Gotland. Warum befindet sich ein Labyrinth so nahe bei einem Richtplatz? Ja, eigentlich ist es recht weit entfernt in diesem Fall. Aber man beachte hierzu auch die Untersuchung von zwei Gräbern Hingerichteter und ihre mögliche Verbindung zum maritimen Milieu. Diese lagen auf der Hügelkuppe neben dem Galgen, dem einzigen erhaltenen im Norden (Widerström, En annan del av Visby etc., 2011). Könnte diese Platzierung des Galgenberg-Labyrinths, die soviel wir wissen einzigartig ist, einen neuen Aspekt zum Hintergrund von Labyrinthen liefern?
Könnte es wirklich einen kleinsten gemeinsamen Nenner für alle oder zumindest für die Mehrzahl der Labyrinthe geben? Was war es dann, das das Labyrinth des Galgenberges mit jenen der Kirchen, der Küsten und vielleicht sogar mit den Anlagen im Binnenland verband? Meiner Auffassung zufolge ist es der Zusammenhang mit Gräbern. Für gewöhnlich wurden die Hingerichteten ohne Zeremonie direkt an den Richtstätten außerhalb geweihter Erde begraben. Die Voraussetzung wäre dann, dass jene Labyrinthe, die auf Gräberfeldern angelegt wurden, nicht prähistorisch sind wie die Gräber auf dem Feld, sondern mittelalterlich oder eventuell jünger. Aber weshalb sollte man ein Labyrinth auf einem alten Gräberfeld anlegen? Ich vermute, dass man einen Schutz vor Wiedergängern erzielen wollte. Ich meine nämlich zu wissen, dass die meisten größeren Gräberfelder der Bevölkerung nach der Einführung des Christentums und weit bis in moderne Zeit hinein bekannt waren. Die Monumente auf dem Gräberfeld waren meist deutlich und konnten eigentlich nur auf eine Weise gedeutet werden. Aber dies verhinderte nicht, dass die große Anzahl an Gräbern in den Volksmärchen damit erklärt wurde, dass es dort eine Schlacht gegeben habe und die Begrabenen in dieser Schlacht gefallen seien. Außerdem wusste man, dass jene, die dort lagen, Heiden gewesen sein mussten. Als solche waren sie besonders gefährliche Wiedergänger, Gespenster, die niemals in geweihter Erde begraben wurden. Für einen Christen war die Garantie für eine stille Ruhe im Grab einzig und allein die geweihte Erde auf einem Friedhof. Auch wenn es dort ebenfalls spuken konnte, wie wir alle wissen... Um die Hauptschlussfolgerung zu wiederholen: ein Symbol oder ein Geschehen, das mit einem solchen Ziel zustande kommt, wird für gewöhnlich apotropäisch, Schutz gebend, genannt. Sie sind, ungeachtet dessen, ein maßgeblicher Bestandteil von Volkskult und Aberglaube.
Auf diese Weise sollten Labyrinthe als eine unter mehreren anderen verwandten Formen eingeordnet werden. Wie ich später herausfand, war die dem am nächsten kommende der Opferhügel oder Opferhaufen, die ich in meinem Buch über Wege und Pfade vor ca. 1850 aufgreife (Westerdahl, Att färdas i gamla tider, 2018). An Stellen, an denen jemand plötzlich, zum Beispiel durch einen Mord, gestorben war oder wo man dachte, es befinde sich ein Grab, legte man Äste und/ oder Steine nieder, bevor man den Ort passierte (Abb. 12). Zu dem Ritual gehörte für gewöhnlich, dass man einige Runden um die Stelle herum ging und zusätzlich eine Art Formel sprach, wie „Ruhe in Frieden“ oder etwas Ähnliches. Von jedem Reisenden wurde ein solcher Beitrag erwartet, selbst wenn er Teil einer Reisegruppe war, und zwar sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg. Es konnten mit der Zeit große Anlagen daraus entstehen, Steinhaufen oder Reisigberge in der Größe von Maifeuern. Eigentlich sind die beiden Begriffe ‚Opfer’ und ‚Hügel’ unrichtig, aber das muss in einem anderen Zusammenhang aufgegriffen werden. In Schweden sind um die 600 registriert, und es muss um ein Vielfaches mehr gegeben haben. Norwegen hat etwas Entsprechendes, aber in Finnland gibt es sie nur in den finnlandschwedischen Küstengebieten, ähnlich den Jungfrauentänzen. Die Opferhügel aber liegen niemals am Strand. Sie sind auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt angelegt worden, sondern allmählich entstanden. Auch Opferhügel können im übrigen an Richtplätzen liegen, wie das Labyrinth in relativer Nähe zum Galgenberg bei Visby. Diese Richtplätze sind an exponierten Stellen an Wegen und Fahrwassern / Häfen angelegt worden, „den Anderen zur Warnung“, wie die Formulierung in den Todesurteilen lautete.
Die Hügel waren so eng mit älteren Wegen und Pfaden verknüpft, dass, wenn jene im Laufe der Zeit im Gelände nahezu verschwunden waren, die Opferhügel ihren Verlauf anzeigen können. „Die Hügel folgen den Wegen auf die gleiche Weise, wie der Schatten dem Mann folgt“, sagt der norwegische Volkskundler Svale Solheim (Kastrøysar, 1973:17). In einem Fall habe ich während eines Seminars in Vaasa erfahren, dass es einen Opferhügel in der Nähe mehrerer Jungfrauentänze am alten Kirchweg zwischen Närpes und Seinäjoki gegeben hat. Außer Zweigen und Steinen konnte man unter anderem Münzen auf einem Hügel oder Haufen opfern (z. B. Louise Hagberg, När döden gästar, Svenska folkseder och svensk folktro i samband med död och begravning, 1937: 512). Als dieser Text geschrieben wurde, hatten wir gerade durch fleißige Heimatkundler in Närpes erfahren, dass bei zumindest einigen Jungfrauentänzen kontinuierlich Münzen unter dem Mittelstein niedergelegt worden waren. Diese Münzen sind aus jüngerer Zeit und offenbar nach und nach ausgetauscht worden. Sie datieren die Jungfrauentänze also nicht. Aber gleichzeitig können die Labyrinthe demzufolge fortlaufend auf eine ähnliche Weise erneuert worden sein, die der eigentliche Grund für die Anlage von Opferhügeln ist (mit Dank an Per Lytz und Charlie Nyberg, Närpes, und auch Mikael Herrgård, Österhankmo).
Wenn man den Aufbau des Grabplatzes auf Storskär in Malax berücksichtigt, hat man einen Grund, erneut an den Hügel zu denken. Pehr Kalm schreibt 1742 aus Homborgsund in Bohuslän:
„Ich sah heute einen Begräbnisplatz auf einem Eiland im Meer. Er hatte die Größe einer großen Hütte, quadratisch errichtet mit einer Mauer aus Feldsteinen ringsum und Eingängen von allen Seiten [...]. Darin waren 4 Gräber und auf jedem ein Steinhaufen. Jene, die auf einem Schiff oder sonst irgendwie auf See gestorben sind, wurden an solchen Stellen begraben, sagt man. Einige Steinhaufen waren größer als die anderen; ich fragte nach dem Grund. Der alte Schiffer mit Namen Falck, der mich ruderte, sagte, dass die, die unter den größeren Steinhaufen lägen, länger dort begraben seien, als jene, die kleine Steinhaufen über sich hätten, weil die Menschen, die dort vorbeigingen, immer einen Stein zu nehmen pflegten, um ihn auf die Gräber zu werfen.“ (Kalm, Västgöta och bohuslänska resa 1742. 1960 (1746): 132)
Gab es bei den Küstenlabyrinthen auch irgendeinen Zusammenhang mit Gräbern? Diesen meinte ich nach einer Reihe von Stichproben gefunden zu haben. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass viele Trojaburgen an gefährlichen Stellen lagen, an denen Fahrzeuge Schiffbruch erlitten hatten, viele unter dramatischen Umständen. Man konnte mit dem Verlust von Menschenleben rechnen. Aber es war schwerer, klar erkennbare Gräber zu finden. Beinahe alle Küsten mit Labyrinthen haben steinige Geröllstrände als natürliche Voraussetzung. Das bedeutet, dass es steinerne Grabhügel geben müsste. In ziemlich vielen Fällen gab es etwas, das man dafür halten konnte. Oder es gab Unregelmäßigkeiten im Strandgeröll, die darauf hindeuteten, dass man in der Nähe gegraben hatte. Hier muss man sich daran erinnern, dass man im Falle des Todes für gewöhnlich bei der eigenen Pfarrkirche begraben wurde. Aber in diesem Fall konnten es anonyme, fremde Seeleute oder Fischer sein, die bei einem Unglück auf See ertrunken waren und die auch nicht immer aus der Gegend stammten. Wurden sie von den Fischern am Strand der Insel aufgefunden, war es bis in jüngere Zeit üblich, sie provisorisch unter einem niedrigen Steinhaufen zu begraben. Oft war der tote Körper in schlechtem Zustand oder man befürchtete, er trage die Pest. Auch wollte man ihn vor Tieren und Vögeln schützen. Vielleicht hat man den Steinhügel nach und nach verbessert, wie oben beschrieben. In der Regel wurde der Tote später durch die Vermittlung der Kirche wieder ausgegraben, auf den Friedhof der Pfarrkirche gebracht und dort erneut begraben. Die meisten größeren Fischerdörfer besaßen nämlich eine Kapelle, die Geistliche vom Festland zu bestimmten Festen besuchten. Aber diese Kapellen hatten kein eigenes Bestattungsrecht. Am Strand zurück blieb eine Mulde im Geröll, dort wo das ursprüngliche Begräbnis stattgefunden hatte.
Birgt dann der Platz, an dem der Tote ursprünglich unter dem nun verschwundenen Steinhaufen begraben worden war, eine Gefahr für Wiedergänger? Dies ist eine Frage, für die es nicht in jedem einzelnen Fall eine endgültige Antwort gibt. In der Überlieferung sagt man dies von anderen Gräbern. Aber ich weiß, in alter Zeit genügte es, dass der Platz durch einen bösen plötzlichen Tod sozusagen besudelt worden war, damit man sich vor Gespenstern zu schützen versuchen sollte. Da muss man mit solchen Erscheinungen wie den Opferhügeln an alten Wegen vergleichen. Hier gibt es verlässliche schriftliche Überlieferungen, etwas, das hinsichtlich der Labyrinthe fehlt.
Ich meinte jedoch eine gewisse Skepsis äußern zu können, was bestimmte Labyrinthe betraf. Dass dort jemals Tote begraben worden waren, glaube ich nämlich nicht. Ich habe daher geschlussfolgert, dass sie stattdessen als Schutz vor an Land gespülten Leichen gesehen worden sein könnten. Einen toten Menschen zu finden ist ja ein besonders unangenehmes Ereignis, nicht zuletzt, wenn man auf derselben Insel wohnt, an der die Leiche angespült wurde. Eine andere Variante desselben Themas könnte ein Schutz vor dem eigenen bösen plötzlichen Tod sein. Vergleicht man erneut mit den Opferhügeln, so war deren Zweck gemäß vieler Angaben nicht allein, vor dem Geist des Toten zu schützen, sondern auch – vielleicht zweitrangig – zu verhindern, dass einen selbst dasselbe Schicksal ereilte.
Im Mittelalter gab es viele Methoden, um einen bösen plötzlichen Tod zu vermeiden. Man glaubte, das Bild oder die Skulptur des Heiligen Christophorus in einer Kirche verleihe Schutz für den aktuellen Tag, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Deshalb gab es in vielen Kirchen solche Gemälde oder Statuen. Wenn man sich nur vor ihnen bekreuzigen konnte, so käme man davon. Könnte es vielleicht sein, dass die Abbildungen von Labyrinthen, die sich in den Kirchen fanden, genauso verstanden wurden? Nicht zu beweisen, aber warum nicht?
In meinem Buch Livets och dödens labyrint. En tolkning av kustlabyrinternas upprinnelse och funktioner (2016: 88f.) hatte ich eine kühne Theorie über die Ansammlung von Steinlabyrinthen in den Schären nahe der Onsala-Halbinsel in Halland. Im Jahr 1157 sollen dort westslawische Seeräuber Schiffbruch erlitten haben. Mittelalterliche Quellen sprechen von Hunderten Toten. Die Überlebenden sollen an Land umgebracht worden sein. Ich vermutete damals, dass die Erinnerung daran die Labyrinthe hervorgebracht haben könnte, zumindest in den darauf folgenden Jahrhunderten. Hier kann ich es nicht lassen zu erwähnen, dass auch das älteste bekannte Kirchenlabyrinth in Grinstad, Dalsland, vermutlich gemalt ca. 1250 in „französischer“ Version, ein Andenken an ein ähnliches Schiffsunglück gewesen sein könnte. Angaben zufolge, die frühestens aus dem 17. Jahrhundert stammen, soll es in den 1130er Jahren geschehen sein und 16 Kirchenboote aus Grinstad mit mehreren hundert Menschen auf dem Weg über den Vänern nach einem Gottesdienst in Skalunda in Västergötland betroffen haben (Westerdahl, Vänern - landskap, människa, skepp, 2003: 41ff, Kristningsstigen och Kristningsmarka i ortnamn från 1100-talets Gautland, 2004, Skeppsvrak och ättestupor, 2015: 81ff). Aber dieser Gedanke ist mir erst jetzt gekommen. Es ist natürlich reine Spekulation, und die Umstände sind gewiss nicht die gleichen.
Es ist behauptet worden, man habe geglaubt, bestimmte Küstenlabyrinthe seien Glücksbringer. Sie sollen angelegt worden sein, weil man auf einen erfolgreichen Fischfang hoffte. Nichts spricht dagegen, dass es so gewesen ist. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass dies eine sekundäre Entwicklung sein kann. Und genauso wie zuvor geschehen kann man mit den Opferhügeln vergleichen. In diesem Fall scheint es die glücksbringende Funktion auch an der Küste gegeben zu haben, z. B. in Bohuslän. Sie ist im Übrigen mit Sennhütten (Almen) in Nordschweden verknüpft und in einem gewissen Grad auch lokal mit Gotland. Sowohl Labyrinthe als auch Opferhügel haben also meiner Auffassung nach im Laufe der Jahrhunderte ihre Bedeutung gewechselt. Aber ich bin der entschiedenen Meinung, dass der ursprüngliche Hintergrund, den ich skizziert habe, nämlich vor Geistern und vor dem Tod zu schützen, sowohl für Labyrinthe als auch Opferhügel teilweise bis nahe an unsere Zeit heran wirksam war, vermutlich bis zwischen 1850 und 1900. Davon zeugen solche Bezeichnungen für die Hügel wie likvål (Leichenwall), likvarp (Leichenhügel), manvarp (Männerhügel), spökhög (Spukhaufen) und vermutlich kallvarp (kalter Hügel) auf Gotland (was allerdings anders gedeutet worden ist, ich glaube, dort gibt es ein ‚Kerl’- (karl-), das hier wie Mann gedeutet werden muss, in übertragener Bedeutung ‚toter Mann’). Werden sie kummel, rör oder röse (Steinhügel) genannt, tragen sie die gleiche Bezeichnung wie die Gräber.
Ein anderes Beispiel für eine geänderte Funktion wird meiner Meinung nach durch den in Finnland gebräuchlichen Ausdruck jungfrudans (Jungfrauentanz) beschrieben. Es ist gut belegt, dass Jugendliche in Labyrinthen eine Art Tanzspiel gespielt haben, frühestens möglicherweise Ende des 18. Jahrhunderts, in jedem Fall aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine „Jungfrau“, die in der Mitte des Labyrinths stand, sollte von einem jungen Mann gerettet werden, der vermeiden musste, sich in den Gängen des Labyrinths zu verirren, auch während er die „Jungfrau“ aus der Steinsetzung trug. Ich meine, dass dieser „säkularisierte“ Brauch nicht ursprünglich ist.
Schon der norwegische Sozialanthropologe Knut Odner hatte 1991 die Meinung geäußert, dass die Labyrinthe mit der Gefährlichkeit des Fischerlebens an den Küsten zusammenhängen. Dieser Gedanke stammt aus der Theorie der britischen Anthropologen Malinowski und Radcliffe-Brown über Angst-Rituale, die auf Beobachtungen in Südostasien beruht (Südsee; Malinowski, Magic, Science and Religion, 1925, 1948, Radcliffe-Brown, The Andaman Islanders, 1933). Die Besorgnis steigt dramatisch in gefährlichen Umgebungen und fordert Rituale und spezielles Tabu-Verhalten. Fischt man in geschützten Innenfahrwassern, bedarf es dagegen überhaupt keiner Rituale. Diese Theorie basiert auf einem wissenschaftlichen Ansatz, den man Funktionalismus nennt. Ein anderer ihrer Vertreter war der bekannte norwegische Volkskundler Svale Solheim, der ähnliche Verhaltensweisen untersuchte (Solheim, Nemningsfordommer ved fiske, 1940, Kastrøysar, 1973). Es konnte Faktoren wie die Namensgebung betreffen: erinnert sei an Holmen Grå oben (Solheim 1940)! Während einer Reihe von Jahren habe ich solche kognitiven Gesichtspunkte der maritimen Kulturlandschaft entwickelt, die sich für mich anfangs mehrheitlich auf materielle Dinge konzentrierte. Irgendwann einmal war auch ich Funktionalist. Meine erste Theorie zu den Küstenlabyrinthen, die über das Lotsentum, war im Grunde davon geprägt.
In den 1990er Jahren wurde eine neuere theoretische Betrachtungsweise modern. Im nordskandinavischen Umfeld stellten sich oft Fragen zur sámischen Ethnizität und Identität als Gegengewicht zur Mehrheitsgesellschaft. Ihr wichtigster Vertreter wurde der Archäologe Bjørnar Olsen in Tromsö, der gerade Labyrinthe besonders untersuchte (Olsen, Labyrinter på Finnmarkskysten, 1988, Material metaphors and historical practice, 1991, Labyrinter i Norge, 1995). Mit Rabbe Sjöberg bekam er übrigens einen Nachfolger, wenn es um die Rolle der Labyrinthe im (katholischen) Widerstand gegen den Protestantismus in den Schären von Nord-Norrland ging (Sjöberg, Labyrinter dold magi i protest mot storsamhället, 1995).
In einem Zitat von 1995 sagt Olsen: „Die Labyrinthe werden auf diese Weise zu einer Art Antwort der sámischen Gesellschaft auf die Kirchen als christliche, physische Manifestationen.“ Dass die Labyrinthe im Norden die sámische Kultur repräsentieren, hat nicht nur er behauptet. Es ist offensichtlich, dass die Anlagen dort alle in der Nähe von sámischen Gräbern liegen. Wenn ich (und wie sich zeigt, auch andere) nun auf das universelle in den Vorstellungen über Wiedergänger hingewiesen habe, warum sollte dies nicht für die Sámen gelten? Bjørnar Olsen und Åse Sørgård (Steinlabyrinter i nord: en ferd langs kysten fra Nord-Troms til Kvitsjøen, 2007) versuchen, den Zusammenhang mit von Schamanen (noaiddet) ausgeführten Übergangsriten, die dem Toten den Weg ins Totenreich weisen, zu erklären. Eine Batterie anthropologischer Modeargumente wird bemüht. Aber sind die Sámen nicht den gleichen elementaren Glaubensauffassungen unterworfen wie andere Menschen? Dass Forscher beinahe immer von Kult, Ritual und Schamanismus in der Finnmark und auf der Kola-Halbinsel sprechen, kommt mir wie ein etwas unbehagliches Zeichen von Exotik vor. Es wirkt sogar wie ein wissenschaftliches Syndrom – manchmal ohne tatsächlichen Beweis! Sámische Kultur wird immer auf eine besonders eigene Weise verstanden. Religion ist eine Sache, volkstümliche Glaubensvorstellungen sind definitiv etwas Anderes. Mein Hintergrund bei den Studien der Südsámen geht aus eigenen Untersuchungen hervor (Westerdahl, Sydsamer från Bottenhavet till Atlanten. En historisk introduktion till samerna i Ångermanland och Åsele lappmark med angränsande delar av Jämtland och Norge, 2008), aber in ihnen spreche ich leider meist über Religion und übergehe größtenteils das Übrige. Ich möchte jedoch das klarsichtige und illusionslose Werk der Sozialanthropologin Kerstin Eidlitz-Kuoljok über die Glaubensvorstellungen der Naturvölker im Norden empfehlen (Moder jord och andra mödrar, 1999, Bilden av universum bland folken i norr, 2009).
Haben Sámen spezielle Kult- und Ritualgene? Wenn es so ist, warum gilt das dann nicht auch für „Pomoren“, „Nenzen“, „Finnen“ oder „Nordgermanen“? Sich darüberhinaus vorzustellen, es sei selbstverständlich, dass die Labyrinthe konstruktionsbedingt von Anfang an für Rituale vorgesehen waren, kann, wie ich oben hervorgehoben habe, zu einem Selbstbetrug führen. Vielleicht sind es auch hier tatsächlich nicht-materielle Wesen, die hineingehen sollen, hineingezwungen werden oder eher von den Labyrinthen gefangen werden? Also Wiedergänger, die Geister der Toten.
Will man gezwungenermaßen Labyrinthe in einen Zusammenhang mit Ethnizität stellen, so ist es interessant, sich ihre Verteilung im Ostseeraum anzusehen (vgl. Abb. 4). Am häufigsten findet man sie in den schwedischen Expansionsgebieten des Mittelalters, im nördlichsten Schweden, entlang Finnlands Küsten, und außerdem gibt es vereinzelte Vorkommen in Estland, was auch gut passt. Auf Finnisch heißen die Jungfrauentänze jatulintarhat, Riesenhöfe, was keine Relevanz hat und außerdem andere Arten von vorgeschichtlichen Stätten bezeichnen kann (z. B. Risla, Jättekyrkor i Österbotten, 2001). Was Russland betrifft, so kann man feststellen, dass die Labyrinthe kaum ein Heimrecht in der griechisch-orthodoxen Welt besitzen (Angabe des Geografen Vlacheslav Mizin, der Labyrinthe besonders studiert hat). Wie wir hervorgehoben haben, kommt die Figur aus der römisch-katholischen Kirche. Das kann ein Beleg für eine überschaubare Datierung sein, aber ist der ethnische Begriff überhaupt interessant? Es scheint eher so, als ob wir für die Küste vom Ausdruck einer gemeinsamen maritimen Kultur sprechen können, sowohl im Osten als auch im Westen, Norden und Süden. Das gilt für Beschäftigte in der Fischerei und der Seefahrt, aber auch in der (Seehund-)Jagd und im Handel. Es ist eine Kulturform, deren Betreiber durch die höchste Sterblichkeitsrate und damit das höchste Risiko unter allen bekannten Gewerben in historischer Zeit auffallen. Erst Bergarbeiter kommen dem nahe.
Außerdem meinte schon Knut Odner (1981), ausgehend von Vorkommen in Nordnorwegen, dass das Labyrinth durch seine Form heilig gewesen sein könnte und zu Beginn nicht davon ausgegangen wurde, dass man es betrat. Ich bin derselben Meinung, dass es in erster Linie als Symbol oder Zeichen fungiert hat. Das Labyrinth wurde zu einem Zeitpunkt errichtet und also nicht nach und nach ausgebaut wie die oben beschriebenen Opferhügel. Das Belaufen der Labyrinthe kann ganz und gar sekundär sein.
Das maritime Milieu haben unsere Labyrinthe gemein. Nicht zuletzt liegen sie auf Inseln. Aber es gibt einen zusätzlichen Aspekt, der keine Verbindung zum maritimen Milieu haben muss. Gespenster gehen nicht über jedwede Form von Wasser. Das Wasser als Scheidelinie zwischen Lebenden und Toten ist ein grundlegender Gedanke in der Religionsgeschichte, nicht nur unter den Bewohnern des Nordens. Ein klassischer Artikel über die Universalität dieser Behauptung ist der Aufsatz „För strömdrag rygga de tillbaka“ des Ethnologen Martti Haavio von 1947. Das bedeutet, dass die Nähe von Gräbern zu einem Gewässer oder einem Feuchtgebiet an sich ein apotropäischer Ausdruck ist. Man kann den Strand auch als Ausdruck von Liminalität anführen. Das bedeutet, dass genau hier an der Wasserlinie eine Schwelle (das lateinische limen, liminis) oder Grenze zwischen zwei Welten verläuft, dem Leben und dem Tod. Die Labyrinthe können eine Garantie dafür sein, dass die Toten an den Küsten die Lebenden, die sich manchmal dort aufhalten müssen, nicht stören. Deshalb begraben Sámen ihre Toten auf Inseln (sam. Jabmesuoloi, die Inseln des Todes). Im finnisch-ugrischen Teil von Karelien ist die Vorstellung besonders stark (z. B. Korpela, The World of Ladoga. Society, Trade, Transformation and State Building in the Eastern Fennoscandian Boreal Forest Zone c. 1000–1555, 2008). Auch die russischen Pomoren und die griechisch-orthodoxen Klöster am Weißen Meer müssen durch das finnisch-ugrische kulturelle Milieu beeinflusst worden sein, in das sie im Mittelalter gekommen waren.
Schließlich möchte ich klarstellen, dass ich nicht der erste mit dem hier dargelegten Gedanken war, wenn ich auch selbst darauf gekommen bin. Die Archäologin Åse Sørgård gibt darüber in ihrer Dissertation Steinlabyrinter i nord (2007) Auskunft. Es war nämlich ein sowjetischer Historiker, N.N. Vinogradov, der im echten Gulag-Archipel inhaftiert war, einem Gefangenenlager auf den Solovjetskij-Inseln im Weißen Meer. 1927 legte er eine kleine Arbeit vor, die hauptsächlich unter seinen Mitgefangenen Verbreitung fand. Vinogradov hatte Gräber in der Nähe bekannter Labyrinthe auf der Inselgruppe bemerkt. Ihr Zweck war seiner Meinung nach, die Seelen der Toten zu täuschen, damit sie nicht zu Wiedergängern werden konnten. Das ist vielleicht nicht ganz meine These, aber das spielt keine so große Rolle. Recht muss Recht bleiben.
Beobachtungen derselben empirischen Natur über den Zusammenhang zwischen Gräbern und Labyrinthen sind somit angestellt worden, in den sámischen Gebieten im Norden, in Russland im Osten und entlang der Ostseeküste im Süden. Es ist nicht allzu gewagt anzunehmen, dass es sich um eng miteinander verwandte volkstümliche Vorstellungen handelt. Auch nicht, dass sie durch spätere moralische Filter und den Unwillen der Bevölkerung, sich als abergläubisch zu enttarnen, verzerrt wurden. Wie aus dem Titel und dem Inhalt meines Buches Livets och dödens labyrint (Das Labyrinth des Lebens und des Todes, 2016) hervorgeht, habe ich also das Feld offen gelassen für andere Deutungen, aber hier aus den oben angeführten Gründen. Ich glaube, dass diese anderen Gebräuche und Deutungen sekundär sind, sie aber auch sehr wohl demselben Gebiet und derselben Zeit angehören können, abgesehen davon, dass sie sich im Laufe der Zeit verändert haben. Sollte mich jemand fragen, welcher „Schule“ dieser Text angehört, will ich ihm antworten, dass er an den Strukturalismus in seiner Sicht auf die Liminalität und einen für maritime Kultur charakteristischen Gegensatz zwischen Meer und Land anknüpft. Darüber hinaus versucht er mittels Empathie für diese Kultur Verständnis für ihre materiellen Hinterlassenschaften zu wecken.